Die kritische Diskursanalyse – Sprache und Realität im Wechselspiel

Wer im Bereich der Kultur-, Gesellschafts- oder Sprachwissenschaften studiert, kann ihr kaum entkommen: der Diskursanalyse.

Redaktion | 29.03.2021 | Lesedauer 3 min

Wer im Bereich der Kultur-, Gesellschafts- oder Sprachwissenschaften studiert, kann ihr kaum entkommen: der Diskursanalyse. Sie stellt ein beliebtes Verfahren der Sprachanalyse dar, ist bei Studierenden aber oft gefürchtet – jedoch ganz ohne Grund. Wir zeigen Ihnen, dass das ‚Schreckgespenst Diskursanalyse‘ sich zu einem echten Trumpf in ihrem ganz persönlichen Methodenkoffer entwickeln kann.

Den Diskurs analysieren?

Eine Information vorab: Die Diskursanalyse gibt es eigentlich gar nicht. Vielmehr verbergen sich dahinter je nach Herangehensweise verschiedene diskursanalytische Ansätze, die jeweils unterschiedliche Schwerpunkte setzen und methodisch leicht unterschiedlich vorgehen, wie etwa die linguistische oder die kritische Diskursanalyse. Jede Diskursanalyse verfolgt jedoch das grundsätzliche Ziel, jeweils sozial- oder geisteswissenschaftliche Phänomene systematisch auszuwerten, d. h. zu analysieren.

Info

Der Duden versteht unter einem Diskurs (aus dem Lateinischen discursus – Umherlaufen) eine methodisch aufgebaute Abhandlung über ein bestimmtes Thema oder auch eine lebhafte Diskussion.

Dabei ist leider schon der Begriff des Diskurses schwer greifbar, vor allem aber vielschichtig, und gerade in der universitären Sphäre ist der Diskursbegriff allgegenwärtig. Es gibt also in gewisser Art und Weise einen Diskurs über den Diskurs. Verwirrend, oder? Doch keine Sorge, für eine fundierte Diskursanalyse müssen Sie sich nicht in die Untiefen philosophischer Ausarbeitungen stürzen. Für unsere Zwecke genügt es, wenn Sie Folgendes verinnerlichen:

  • Ein Diskurs beinhaltet zwei Ebenen, und zwar eine sprachliche und eine nichtsprachliche.
  • Auf der sprachlichen Ebene ist der Diskurs zunächst einfach mit dem Begriff der Debatte oder der öffentlichen Diskussion zu erklären. Einen Diskurs gibt es daher zu allen Themen, die eine Gesamtgesellschaft oder Teile von ebendieser beschäftigen.
  • Auf der nichtsprachlichen Ebene geht der Diskursbegriff jedoch weit über die Debatte hinaus, denn ein Diskurs schafft Realität.

Sie müssen sich also im Prinzip nur den einfachen Zusammenhang merken, dass Sprache aus unserer Realität heraus entsteht, aber gleichzeitig auch die Realität beeinflusst, denn wie wir über etwas reden, beeinflusst, wie wir darüber denken.

Ein Beispiel:

Scheues Wildtier oder wilde Bestie? Es gibt wohl kaum ein Wildtier, das so oft medial diskutiert wird wie der Wolf. Es gibt dementsprechend in Mitteleuropa einen anhaltenden Wolfdiskurs, sodass der Wolf in der allgemeinen Wahrnehmung sehr präsent wirkt – jedoch dürften die wenigsten tatsächlich schon einmal in Kontakt mit einem wildlebenden Wolf gekommen sein. Trotzdem haben die meisten Menschen eine Meinung zu diesem Thema, wobei diese Meinungen in ihrer Gesamtheit wiederum die mediale Darstellung prägen. Ein Kreislauf entsteht, indem Sprache Realität und Realität Sprache beeinflusst. 🐺

Die Diskursanalyse gehört – sofern sie richtig durchgeführt wird – zu den komplexesten und arbeitsintensivsten Methoden der Geistes- und Sozialwissenschaften.

Die Diskursanalyse in der Praxis

Die theoretischen Grundlagen sind schön und gut, helfen Ihnen aber noch nicht dabei, eine Diskursanalyse durchzuführen und aufs Papier zu bringen, wenn dies im Rahmen Ihres Studiums von Ihnen verlangt wird. Daher folgt nun noch eine Step-by-Step-Anleitung für Ihre persönliche Diskursanalyse.

Eine Information vorab:

Die Diskursanalyse gehört – sofern sie richtig durchgeführt wird – zu den komplexesten und arbeitsintensivsten Methoden der Geistes- und Sozialwissenschaften. Dementsprechend werden Diskursanalysen eher selten Bestandteil kleinerer semesterbegleitender Aufgaben oder Seminararbeiten sein. Es handelt sich dabei eher um einen Ansatz, der in umfangreicheren Arbeiten, beispielsweise Bachelorarbeiten oder sogar Master- und Doktorarbeiten, angewendet wird. Und so funktioniert die Diskursanalyse:

Schritt 1: Zu Beginn einer jeden Forschungsarbeit steht die Forschungsfrage, so auch bei der Diskursanalyse. Bezugnehmend auf das oben angeführte Beispiel könnte ihre Forschungsfrage also beispielsweise lauten:

Wie wird der Wolf in den Medien charakterisiert?

Ihr Diskursgegenstand, den es zu untersuchen gilt, ist dementsprechend die stereotype Charakterisierung von Wölfen in der medialen Aufbereitung.

Schritt 2: Daraufhin muss festgelegt werden, auf welcher Diskursebene analysiert werden soll. Diskursebenen sind beispielsweise Politik, Kultur, Medien oder Gesellschaft, wobei diese sich wiederum in Diskurssektoren unterteilen lassen. So kann zum Beispiel die Medienebene wiederum in Filme, Nachrichtensendungen, Werbung und ähnliche Sektoren unterteilt werden. Je nach Umfang der zu schreibenden Arbeit bietet es sich an, sinnvolle Unterteilungen in Sektoren zu wählen.

So könnte etwa eine Bachelorarbeit die obige Fragestellung für die Diskursebene Medien und den Diskurssektor Printmedien untersuchen, während eine Masterarbeit mehrere Diskurssektoren untersuchen und miteinander in Bezug setzen kann.

Schritt 3: Entscheidend für den Erfolg der Diskursanalyse ist die Auswahl des Materials, das analysiert werden soll. Dabei ist klar, dass niemals sämtliche Veröffentlichungen zu einem Thema einbezogen werden können, denn ein Diskurs zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass er gesellschaftliche Relevanz hat und dementsprechend umfangreich ist. Sie müssen im Schritt der Materialauswahl also die relevante Entscheidung treffen, in welche Richtung Sie Ihre Analyse lenken wollen, denn das ausgewählte Material wird den Outcome definitiv prägen.

Schritt 4: Sie haben es geschafft: Ihre Forschungsziele sind gesetzt, das Material ist ausgewählt und Sie können sich in die Analyse stürzen. Es liegt auf der Hand, dass diese je nach Menge des Materials ganz unterschiedlich viel Aufwand mit sich bringt, die Arbeitsschritte sind aber immer die gleichen. Die nachfolgende Tabelle bereitet diese übersichtlich auf:

Wie wird der Wolf in Onlinemedien charakterisiert? Wie berichten Tageszeitungen über ihn? Was schreiben Fachzeitschriften aus dem Jagd- oder Landwirtschaftsbereich zum Wolf? Erfahren unterschiedliche Zielgruppen dementsprechend unterschiedliche Dinge über den Wolf? All das sind Fragen, deren Beantwortung Sie über die Auswahl Ihres Materials steuern.

Hinweis:

Über die Diskursebene und den Diskurssektor lassen sich dementsprechend ganz maßgeblich die Tiefe und der Umfang der geplanten Analyse steuern. Legen Sie diese daher vor Beginn Ihres Projekts fest und ändern Sie sie auch nicht mehr. Sie sind verloren im Dschungel aus Diskursebenen und -sektoren? Wir helfen Ihnen bei Ihrem Exposé!

Analyseschritt Was geschieht hier?
Strukturanalyse Es geht um die harten Fakten. Wann wurde das Material veröffentlicht? Und von wem? Was für eine Quellenart ist es? Zu welchem Anlass erfolgte die Veröffentlichung? Was ist das zentrale Thema? Was sind die Kernaussagen? Wie ist die visuelle Aufbereitung?
Feinanalyse Jetzt wird es ernst: Jeder Bestandteil Ihres Materials muss hinsichtlich des Mediums, der Inhalte und der sprachlich-rhetorischen Mittel untersucht werden. Zudem werden an dieser Stelle Wertungen herausgearbeitet, die das Material zum Thema gibt.
Gesamtanalyse Strukturanalyse und Feinanalyse werden hier zusammengefügt. Beantwortet werden muss also die Frage: Wer redet wann, mit wem, auf welche Art und Weise über das von Ihnen untersuchte Thema?

Nach der Analyse ist vor der Analyse

Sie haben die obigen Schritte durchgeführt und stehen nun vor der Erkenntnis: Eine Diskursanalyse macht noch keine Abschlussarbeit. Genau wie andere Methoden des wissenschaftlichen Arbeitens, beispielsweise im Bereich der empirischen Forschung, ist die Diskursanalyse nur ein Werkzeug, das Sie für die Beantwortung Ihrer Forschungsfrage heranziehen. Die analysierten Erkenntnisse gilt es nun also noch in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext zu setzen.

Diskursanalyse Beispiel

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