Anders als im Ratgeberartikel zur Erstellung eines Interviewleitfadens für qualitative Projekte liegt das Augenmerk dieses Artikels auf Fragebögen als Herzstück eines quantitativen Umfrageprojektes. Häufig wird der Erstellung aber zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt oder Fragen werden schlicht aus dem Bauch heraus formuliert. Das blosse Interesse an einer Frage reicht aber noch nicht, um eine Aufnahme in den Fragebogen zu rechtfertigen. Dieser Artikel beschäftigt sich mit wichtigen Grundregeln der Fragebogenerstellung.
Operationalisierung und Erstellung eines standardisierten Fragebogens für Umfrageprojekte
Überblick über die Grundregeln der Fragebogenerstellung bei standardisierten Umfragen. Tipps zu Formulierung und Aufbau. – Diesen Beitrag können Sie auch anhören.
Theoretische Vorarbeit
Am Anfang einer empirischen Arbeit steht die Fragestellung. Wie bei allen wissenschaftlichen Arbeiten ist die theoretische Vorarbeit wesentlich für den weiteren Verlauf der Untersuchung. Dazu gehören in der Regel die zentralen Begriffsdefinitionen, theoretische Modelle und die Darstellung des aktuellen Forschungsstands. Nachdem die relevante Theorie gesichtet wurde, kann eine Hypothese formuliert werden, die den Ausgangspunkt für die Planung des Fragebogens bildet. Die Erkenntnisse aus der Literatur zum Thema Umweltbewusstsein könnten z. B. zur Formulierung der folgenden Hypothese führen:
- Je höher die Bildung einer Person ist, desto höher fällt im Durchschnitt ihr Umweltbewusstsein aus.
Schlüsselt man die Hypothese auf, so müssen für ihre Überprüfung zwei Konstrukte gemessen werden: Bildung und Umweltbewusstsein. Häufig begegnen einem schon während der Lektüre Möglichkeiten, ein theoretisches Konstrukt mithilfe bestimmter Messinstrumente zu erfassen. Anders ausgedrückt müssen Fragen nur in seltenen Fällen gänzlich neu formuliert werden, sodass man häufig auf etablierte und vielfach getestete Items zurückgreifen kann.
Fragebogenerstellung als Operationalisierung theoretischer Konstrukte
Die Erstellung eines Fragebogens wird auch als Operationalisierung theoretischer Konstrukte bezeichnet. Was sperrig klingt, meint im Grunde nur die Umsetzung eines theoretischen Begriffs als Messinstrument im Fragebogen. Im Zuge des Prozesses der Operationalisierung soll also sichergestellt werden, dass ein Messinstrument exakt das erfasst, was gemessen werden soll.
Konnte man im Zuge der Literaturrecherche noch keine Möglichkeiten der Operationalisierung finden, bietet sich eine Recherche in Datenbanken an. Das GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften stellt im Rahmen des „Open Access Repositorium für Messinstrumente“ einen umfangreichen Katalog an Erhebungsinstrumenten für zahlreiche Themen zur Verfügung. Zudem finden sich bei einer weiteren Recherche in Literaturdatenbanken wissenschaftliche Publikationen, die solche Messinstrumente ausführlich darstellen. Im Falle der o. g. Beispielhypothese eignet sich z. B. eine Operationalisierung der Bildung in Form des höchsten Bildungsabschlusses. Das Umweltbewusstsein könnte mithilfe der Skala „Allgemeines Umweltbewusstsein“ nach Wingerter operationalisiert werden, die aus zehn Einzelitems besteht.
Ein abweichendes Vorgehen wird nötig, wenn das Forschungsprojekt so innovativ ist, dass getestete Messinstrumente noch gar nicht existieren. In diesem Falle lohnt es sich, sich näher mit den Grundsätzen der Frage- und Antwortformulierung zu beschäftigen. Faustregeln lauten u. a.:
- Fragen sollten einfache Wörter und keine Fachausdrücke, Fremdwörter oder Abkürzungen enthalten.
- Fragen müssen so kurz und so konkret wie möglich formuliert werden.
- Fragen dürfen nicht als Suggestivfragen formuliert werden.
- Fragen sollten nicht hypothetisch formuliert werden (z. B. nach dem Muster „Angenommen, Sie würden…“).
- Eine Überforderung der Befragten durch Rechenaufgaben oder doppelte Verneinungen sollte vermieden werden.
- Belastete oder normativ aufgeladene Begriffe sollten möglichst vermieden werden.
- Fragen sollten immer nur einen Sachverhalt erfassen.
Antwortkategorien
Die Art einer Frage wird bestimmt durch ihre Antwortkategorien bzw. -ausprägungen. Dabei kann zunächst zwischen offenen und geschlossenen Fragen unterschieden werden. Im Falle offener Fragen sind keine Antwortkategorien vorgegeben. Offene Fragen sind dann angemessen, wenn kein Vorwissen über das mögliche Antwortspektrum besteht, Antwortvorgaben keinen Einfluss auf das Antwortverhalten der befragten Person ausüben sollen oder die Anzahl möglicher Kategorien zu gross ist, um sie einzeln aufzulisten.
Geschlossene Fragen dagegen verfügen über vorgefertigte Antwortkategorien. Die einfachste Form einer geschlossenen Frage ist die dichotome Frage (z. B. „Ja“ oder „Nein“). Daneben existieren z. B. Items mit Antwortskalen, Single-Choice-, Multiple-Choice- oder Rankingfragen. Denkbar ist auch eine Mischform aus offener und geschlossener Frage, bei der feste Antwortvorgaben um die Möglichkeit der freien Formulierung ergänzt werden. Bei der Festlegung auf eine Frageform ist u. a. zu beachten, dass die Antwortkategorien das gesamte Spektrum möglicher Antworten abbilden und überschneidungsfrei sind.
Da bei der Frageformulierung eine Vielzahl von Aspekten berücksichtigt werden sollte, lohnt sich auch bezüglich der Gestaltung von Antwortkategorien ein Blick in die wissenschaftliche Literatur. Zu beachten ist z. B. auch die Anzahl der Skalenpunkte, die in der Regel auf höchstens 7 begrenzt werden sollten, oder die Integration einer nicht-substanziellen Antwortkategorie (z. B. „keine Angabe“, „weiss nicht“).
Reihenfolge der Fragen
Ordnet man die einzelnen Fragen thematischen Blöcken zu, erleichtert dies die Bearbeitung durch die befragte Person. Kurze Überleitungen zwischen den Frageblöcken helfen den Befragten ausserdem dabei, sich kognitiv auf das nächste Thema einzustellen. Im Sinne einer regen Teilnahme bietet es sich auch an, eine Frage an den Anfang zu stellen, die für alle Personen interessant oder zutreffend ist. Kann die erste Frage leicht beantwortet werden, entsteht das Gefühl, dass man vom Thema des Fragebogens betroffen ist. Üblich ist auch, mit allgemeinen Fragen zu beginnen und nach und nach spezifischer zu werden.
Fast immer werden mithilfe eines Fragebogens auch soziodemografische Angaben erhoben, z. B. das Alter, der Schulabschluss oder das Geschlecht der Befragten. Da solche Fragen für teilnehmende Personen in der Regel wenig interessant sind, steigt das Risiko eines Umfrageabbruchs. Ursache für einen Abbruch kann auch die normalerweise unbegründete Sorge vor einer Rückverfolgung auf die Identität einer Person sein. Um die bis dahin gewonnenen Daten dennoch verwenden zu können, hat sich eine Platzierung am Ende des Fragebogens etabliert. Um das Risiko eines Abbruchs zu minimieren, sollten die Befragten im besten Fall über den konkreten Anlass der Erhebung aufgeklärt werden. Dies gilt insbesondere für sensitive (sensible) Fragen, z. B. nach dem monatlichen Einkommen.
Sind Frageformulierung und Anordnung der thematischen Blöcke abgeschlossen, bietet es sich an, den ersten Entwurf des Fragebogens an einigen Testpersonen zu überprüfen (Stichwort qualitativer bzw. quantitativer Pretest). Dabei ergibt sich nahezu immer Verbesserungspotenzial. Erst dann sollte der Fragebogen einer grösseren Stichprobe zur Beantwortung präsentiert werden.
Weiterführende Literatur:
- Dillman, D. A., Smyth, J. D., Christian, L. M. (2014). Internet, phone, mail, and mixed-mode surveys: the tailored design method. New Jersey: John Wiley & Sons.
- Döring, N., Bortz, J. (2016). Forschungsmethoden und Evaluation. Wiesbaden: Springer.
- Schnell, R. (2019). Survey-Interviews. Wiesbaden: Springer.
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