Achtsamkeit und Resilienz im Studium

Ressourcen erkennen und nutzen

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Achtsamkeit und Resilienz – was ist das?

Der Begriff „Achtsamkeit“ ist seit Langem in aller Munde – aber haben Sie sich schon einmal damit auseinandergesetzt, was damit eigentlich gemeint ist und wie Sie sich dieses Konzept im Studium und Alltag zunutze machen können? Falls nicht, möchten wir Ihnen mit diesem und weiteren Artikeln zum Themenkomplex einen Einstieg in das Thema ermöglichen und Ihnen Anwendungsmöglichkeiten und Chancen aufzeigen.

Gerade die Studienzeit ist dadurch geprägt, dass wir zahlreichen unterschiedlichen Stressoren ausgesetzt sind. Zu der Balance zwischen beruflichen, familiären und privaten Herausforderungen, die in jeder Lebensphase eine Rolle spielt, gesellen sich im Studium oft zahlreiche weitere Faktoren. Die Vorbereitung auf Prüfungen, innerer und äusserer Erfolgsdruck, die Einarbeitung in die wissenschaftliche Denk- und Arbeitsweise oder die Herausforderung, sich erstmals eigenständig um Wohnung und Lebensunterhalt zu kümmern, zehren an den Nerven. Hinzu kommen oft Ängste und Unsicherheiten in Bezug auf die Zukunft, Priorisierungsschwierigkeiten, Zeitdruck in Prüfungsphasen und der ständige Vergleich mit Mitstudierenden. All dies ist dem psychischen Wohlbefinden nicht zuträglich und führt im schlimmsten Fall zu Überlastung, Unzufriedenheit mit der Studiensituation und einem schlechten Zeit- und Ressourcenmanagement.

Eine achtsame Herangehensweise an das Studium soll Ihnen dabei helfen, besser mit Stress- und Störfaktoren umzugehen, die Studienzeit bestmöglich zu nutzen und eine gute Balance zwischen den Anforderungen von aussen und den eigenen Bedürfnissen zu finden.

Das Konzept der „Achtsamkeit“ oder englisch „Mindfulness“ stammt ursprünglich aus dem Buddhismus und wurde ab der Mitte des letzten Jahrhunderts von der westlichen Medizin und Psychotherapie aufgegriffen. Es kursieren unterschiedliche Definitionen des Begriffes, wobei die des emeritierten Professors, Molekularbiologen und Achtsamkeitslehrers Jon Kabat-Zinn zu den am häufigsten zitierten gehört. Er ist der Begründer der MBSR (mindfulness-based stress reduction), einem Konzept der Stressreduktion durch Achtsamkeit. Kabat-Zinn, der mit zahlreichen Publikationen zum Thema Aufmerksamkeit erzielte, bezeichnet mit „Achtsamkeit“ einen Zustand, in dem die Aufmerksamkeit mit Absicht auf das Hier und Jetzt gerichtet wird – ohne zu werten.

 


Achtsamkeit

„Achtsamkeit bedeutet, auf eine bestimmte Weise aufmerksam zu sein: bewusst, im gegenwärtigen Augenblick und ohne zu urteilen. Diese Art der Aufmerksamkeit steigert das Gewahrsein und fördert die Klarheit sowie die Fähigkeit, die Realität des gegenwärtigen Augenblicks zu akzeptieren.“[1]

Es geht also um eine bewusste Wahrnehmung des gegenwärtigen Zeitpunkts, des eigenen Verhaltens und der eigenen Emotionen, ohne Gedanken an Zukunft und Vergangenheit, Wertungen und Kategorisierungen. Im Gegensatz zu Konzentration wird bei der Achtsamkeit der Fokus nicht auf ein Detail, sondern auf eine möglichst breit gefächerte Wahrnehmung gelegt.

Dahinter steckt der Gedanke, dass niemand ein Leben frei von Stress, Sorgen und Nöten leben kann. Die Art und Weise, auf die wir diese Widrigkeiten wahrnehmen, und der Umgang mit ihnen machen aber den entscheidenden Unterschied. Durch eine achtsame Wahrnehmung lassen sich Probleme und Handlungsoptionen besser erkennen, wir reagieren nicht mehr nur noch automatisch und unbewusst und sind gezwungen, die gegenwärtige Realität wahrzunehmen und zu akzeptieren. Schlussendlich kann dies zu einer Steigerung der eigenen inneren Stärke und Widerstandsfähigkeit, einem besseren Coping-Verhalten bei Problemen sowie gesteigerter Selbstkompetenz, Selbstwahrnehmung und Flexibilität führen.

Diese Fähigkeiten werden auch unter dem Begriff „Resilienz“ zusammengefasst.
Resilienz (= R.) [engl. resilience; lat. resiliere abprallen, sich zus.ziehen], [GES, KLI, PER], bez. die Widerstandsfähigkeit eines Individuums, sich trotz ungünstiger Lebensumstände und kritischer Lebensereignisse (Life-Event, kritisches) erfolgreich zu entwickeln.[2]

Resilienz kann also als ein Prozess beschrieben werden, bei dem auf Herausforderungen und Veränderungen mit Anpassungen des Verhaltens reagiert wird. Damit wird die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung eines gesunden, ausbalancierten Zustandes erreicht.

 


Achtsamkeit in der Wissenschaft

Nachdem das Thema Achtsamkeit von der Wissenschaft lange eher in eine spirituelle Ecke gedrängt wurde, ist es mittlerweile völlig in der Forschung angekommen – jährlich werden etwa 300 neue Studien zum Themenbereich Achtsamkeit veröffentlicht. Dennoch sollte nicht unter den Teppich gekehrt werden, dass zu dem Themenfeld aufgrund seiner inhaltlichen Nähe zu spirituellen und religiösen Konzepten oft auch Halb- und Unwahrheiten verbreitet werden, für die es kein wissenschaftliches Fundament gibt. Zudem gibt es auch immer wieder Kritik am Gedanken der Achtsamkeit und insbesondere an einem vermeintlichen „Achtsamkeitshype“.[3] Kritiker:innen bemängeln, dass sich mit Achtsamkeit keine Probleme lösen liessen bzw. dass dadurch ein hypersensibler und egozentrischer Umgang mit Stress gefördert werde und eine Gefährdung für emotional labile Menschen bestehe. Auch in der Wissenschaft ist der Nutzen der Achtsamkeit nicht unumstritten.[4] Es gibt aber beispielsweise zahlreiche Hinweise (etwa in Hirn-Scans) darauf, dass regelmässige Meditation massgebliche Veränderungen bzw. Adaptionen des Gehirns hervorrufen kann.[5]

 


Wie können Sie die Konzepte Achtsamkeit und Resilienz im Studium nutzen?

Es ist wichtig, zu verstehen, dass „Resilienz“ keine unabänderliche Charaktereigenschaft ist, sondern heutzutage als ein Prozess verstanden wird. Zwar spielt unsere Vorprägung aus Kindheit und Jugend natürlich eine Rolle, es ist aber nie zu spät, die eigene Achtsamkeit zu trainieren und damit schlussendlich auch langfristig resilienter zu werden, was unter anderem zu einer verbesserten Gesundheit führen kann.[6]

Da Achtsamkeit und Resilienz Meta-Kompetenzen sind, um erfolgreich und kompetent agieren zu können, können sie in zahlreichen Lebenssituationen helfen. Durch eine Verbesserung der eigenen Achtsamkeit soll es möglich werden, kompetenter mit den Emotionen und Handlungen umzugehen und gezielt an Aspekten in Ihrem persönlichen Verhalten zu arbeiten. Auch eine verbesserte Selbstwirksamkeit, also die Überzeugung, schwierige Situationen gut meistern zu können, kann durch Achtsamkeitstraining erzielt werden.[7]

Aufgrund des Wissens über die eigene Selbstwirksamkeit soll zudem die Unterscheidung zwischen angemessenem (lösungsförderndem) und unangemessenem (lösungserschwerendem) Verhalten einfacher werden.

 


Achtsamkeitstraining

Achtsamkeit ist eine Praxis, die geübt werden muss. Der einfachste Weg, um Ihre Achtsamkeit zu trainieren, ist, zunächst in verschiedenen Situationen den Fokus auf eine achtsame Wahrnehmung zu legen. Dabei ist es ganz normal, dass wir nicht von morgens bis abends achtsam alles um uns herum wahrnehmen können, wenn wir noch alltagstauglich „funktionieren“ möchten. Wichtig ist aber, den Fokus regelmässig auf den Moment zu richten. Gefördert werden sollen damit unter anderem:

  • Konzentrationsfähigkeit und kognitive Fähigkeiten
  • Stressbewältigung
  • Selbst- und Emotionsregulierungsfähigkeiten
  • Physisches, mentales und emotionales Wohlbefinden.[8]

 


3 Szenarien

Achtsamkeit im Studium

Im Folgenden soll gezeigt werden, wie sich Achtsamkeit konkret in verschiedenen Studiensituationen anwenden lässt. Dies sind natürlich nur Beispiele, die individuell abgeändert werden können. Vielleicht kommen Ihnen ja die folgenden Situationen bekannt vor:

1/3

Netflix & Pizza vs. Bibliothek & Schreibtisch

Sie haben es ja wirklich versucht – aber immer, wenn Sie in der Bibliothek sind und an der dringend fertigzustellenden Hausarbeit arbeiten wollen, geht einfach gar nichts mehr. Sie können sich nicht konzentrieren, am Nebentisch wird geflüstert, das Buch, das Sie brauchen, ist verliehen und dann noch das nervige Geräusch der Klimaanlage. Es soll einfach nicht sein mit dem Arbeiten, dann können Sie doch auch gleich zu Hause gemütlich die neue Staffel XY anschauen.

Achtsamkeitstipp:

Halten Sie das nächste Mal, wenn Sie sich in dieser Situation befinden, einmal bewusst inne. Atmen Sie ein und aus, nehmen Sie sich und Ihre Emotionen wahr und verurteilen Sie sich nicht. Es kann sehr hilfreich sein, in so einer Situation einmal eine neutrale Perspektive herzustellen. Vielleicht fällt Ihnen dann sogar auf, was Sie eigentlich aufhält und ablenkt: Wissen Sie vielleicht nicht, wie man bei einer wissenschaftlichen Arbeit überhaupt anfängt? Kommen Sie mit dem Bibliothekssystem noch nicht klar? Trinken Sie vielleicht einfach nicht genug? Oft ist die Einsicht der erste Weg zur Lösung des Problems.

2/3

„Probleme“ von übermorgen

Sie sind unmotiviert, prokrastinieren und empfinden die Arbeit für Ihr Studium als sinnlos? Ihre Gedanken schweifen oft in die Zukunft und Sie machen sich Sorgen, dass Sie nach dem Studium keinen guten Einstieg in das Berufsleben finden?

Achtsamkeitstipp:

Konzentrieren Sie sich auf Ihre gegenwärtige Situation und beobachten Sie das Kommen und Gehen Ihrer Gedanken und Sorgen. Vielleicht fallen Ihnen dadurch Denkmuster auf, die sie unbewusst sabotieren.

3/3

Panik vor dem Referat

Sie haben sich akribisch vorbereitet, zahlreiche Karteikarten geschrieben und Ihre PowerPoint-Präsentation steht auch. Trotzdem hält Sie der Gedanke an das Referat morgen vom Schlafen ab? Sie sind davon überzeugt, dass Sie sich auf jeden Fall versprechen werden?

Achtsamkeitstipp:

Nehmen Sie Ihre Gefühle in dieser Situation bewusst wahr. Vielleicht fällt Ihnen dadurch auf, woher diese negativen Gedanken kommen. Haben Sie die Inhalte vielleicht nur auswendig gelernt, aber gar nicht verstanden? Lief in der Vergangenheit einmal ein Referat schief und Sie fühlen sich nun unsicher, obwohl die Ausgangslage völlig anders ist?

Neben dem Erkennen von mentalen und emotionalen Dynamiken und somit einem bewussteren und eventuell auch erfolgreicheren Umgang mit der Studiensituation hat Achtsamkeit auch zahlreiche Effekte jenseits des akademischen Erfolgs. Nachgewiesenermassen können schon kurze Phasen von Achtsamkeitstraining und Meditation die eigene Gesundheit entscheidend verbessern. Da Stress nicht nur das Wohlbefinden beeinträchtigt, sondern auch erhebliche gesundheitliche Probleme nach sich ziehen kann, lohnt sich eine Beschäftigung mit dem Thema auf jeden Fall.

In den weiteren Beiträgen möchten wir Ihnen zeigen, wie Sie Achtsamkeit etwa bei der Fächer- und Kurswahl, der Vorbereitung auf Prüfungen sowie beim Umgang mit Misserfolgen nutzen können.

Weiterführende Literatur

Wenn Sie sich näher über die Themen Achtsamkeit und Resilienz informieren möchten, empfehlen wir Ihnen unter anderem die folgenden Werke:

  • Baeijaert, L. & Stellamans, A. (2013). Resilienz: Ein Werkstattbuch zur Widerstandskraft. München: Solutions Academy Verlag.
  • Bishop, S. R., et al. (2004). Mindfulness: A proposed operational definition. In: Clinical Psychology: Science and Practice, 11, S. 230–241.
  • Dahl, C. J., Lutz, A. & Davidson, R. J. (2015). Reconstructing and deconstructing the self: cognitive mechanisms in meditation practice. In: Trends in Cognitive Sciences, 19(9), S. 1–9.
  • Eysenck, M. W. & Keane, M. T. (2015). Cognitive Psychology. A Students Handbook. London/New York: Psychology Press.
  • Hagendorf, H., Krummenacher, J., Müller, H.-J. & Schubert, T. (Hrsg.) (2011). Wahrnehmung und Aufmerksamkeit. Allgemeine Psychologie für Bachelor. Berlin: Springer Verlag.
  • Schindler, S. (2020). Ein achtsamer Blick auf den Achtsamkeits-Hype. In: Organisationsberatung, Supervision, Coaching, Nr. 27, 2020, S. 117.
  • Schmidt, J. (Hrsg.) (2020). Achtsamkeit als kulturelle Praxis: Zu den Selbst-Welt-Modellen eines populären Phänomens. Bielefeld: Transcript Verlag.
  • Shapiro, S. L., Carlson, L. E., Austin, J. A. & Freedman, B. (2006). Mechanisms of mindfulness. In: Journal of Clinical Psychology, 62, S. 373–376.
  • Tang, Y. (2019). Die Wissenschaft der Achtsamkeit. Paderborn: Junfermann.
  • Ufert, D. (2015). Schlüsselkompetenzen im Hochschulstudium. Stuttgart: UTB.
  • Van Dam, N. T., et al. (2018). Mind the hype: a critical evaluation and prescriptive agenda for research on mindfulness and meditation. In: Perspectives on Psychological Science, Nr. 13, S.36-61.
  • Zimmermann, M., Spitz, C. & Schmid, S. (2012). Achtsamkeit – ein buddhistisches Konzept erobert die Wissenschaft. Mannheim: Hueber.

 

Verwendete Literatur

[1] Kabat-Zinn, J. (2010): Im Alltag Ruhe finden. München: Knaur, S. 20.

[2] https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/resilienz (abgerufen am 01.05.2022)

[3] Vgl. z. B. Klein, M. (2018): Hör mir auf mit Achtsamkeit. Zeit Online. (https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2018-03/meditation-achtsamkeit-hype-anti-stress-depression-psychologie/komplettansicht, abgerufen am 01.05.2022)

[4] Vgl. Van Dam, N. T., et al. (2018): Mind the hype: a critical evaluation and prescriptive agenda for research on mindfulness and meditation. In: Perspectives on Psychological Science, Nr. 13, S. 36-61.

[5] Vgl. Fox, K., et al. (2014): Is meditation associated with altered brain structure? A systematic review and meta-analysis of morphometric neuroimaging in meditation practitioners. In: Neurosci Biobehav Rev., 2014 Juni, 4, S. 48–73.

[6] Vgl. Obrist, B. (2012): Wie Gesundheit und Resilienz zusammenhängen. UniNova, Wissenschaftsmagazin der Universität Basel. (https://www.unibas.ch/de/Aktuell/Uni-Nova/Uni-Nova-119/Uni-Nova-119-Gesundheit.html, abgerufen am 01.05.2022)

[7] Vgl. z. B. Schäfer, S. (2014): Achtsamkeit ist heilsam. Zeit Online. (https://www.zeit.de/zeit-wissen/2012/01/Meditation-auf-Rezept/seite-2, abgerufen am 01.05.2022)

[8] Vgl. ebd.

Kategorie: Achtsam studieren