Induktives und deduktives Forschungsdesign

Lernen Sie die wesentlichen Unterschiede zwischen induktiven und deduktiven Forschungsdesigns am Beispiel von qualitativen und quantitativen Arbeiten kennen.

Redaktion | 30.05.2022 | Lesedauer 5 min

Unabhängig von der Frage, ob ein quantitativer oder qualitativer Ansatz gewählt wird, kann zwischen einem induktiven und einem deduktiven Forschungsdesign unterschieden werden. Handelt es sich um eine empirische Untersuchung mit offenen Forschungsfragen und explorativem Charakter, so liegt ein induktiver Ansatz vor. Bei einem deduktiven Ansatz werden dagegen auf Basis von Theorien und Modellen bereits Vorannahmen formuliert, die anschliessend empirisch überprüft werden.

 


Induktion: „Bottom-up“

Bei einer induktiven Verfahrensweise werden vor der qualitativen oder quantitativen Datenanalyse keine Vorannahmen getroffen. Stattdessen werden mögliche Muster und Zusammenhänge aus dem Datenmaterial entwickelt, weshalb auch von einem Bottom-up-Ansatz die Rede ist. Es handelt sich also um eine strukturentdeckende Vorgehensweise. Demnach werden induktive Verfahren häufig dann angewendet, wenn man ein innovatives Thema bearbeitet und noch kein bzw. wenig Vorwissen darüber besteht.

Induktives Forschungsdesign und deduktives Forschungsdesign

Ein induktiver Ansatz kann z. B. im Rahmen einer qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring und vor allem dann verfolgt werden, wenn nicht numerisches Datenmaterial vorliegt. So werden häufig ohne feste Vorannahmen Interviews oder andere Mediendaten (Texte, Audiodateien, Videodateien) analysiert, ohne dass bereits im Vorhinein Hypothesen formuliert sind. In der Regel werden nur wenige Forschungsfragen formuliert, die während des Forschungsprozesses ein weites Blickfeld aufrechterhalten und eine nur grobe Struktur vorgeben.

Beispiel für einen induktiven Forschungsansatz:

Die Corona-Pandemie hatte starke Auswirkungen auf die Wirtschaft und das soziale Miteinander in der Gesellschaft. Zugleich sind noch viele Fragen unbeantwortet. So stellt sich die Forschungsfrage, von welchen Faktoren die schulische Leistung von Schülerinnen und Schülern nach knapp zweijähriger Pandemie abhängt. Schliesslich mussten Jüngere für einen längeren Zeitraum Fernunterricht oder gar Unterrichtsausfall hinnehmen. Es handelt sich also um ein vergleichsweise neues Phänomen, über das noch keine passgenauen Theorien vorliegen.

Im Laufe qualitativer Befragungen von Schülerinnen und Schülern, Erziehungsberechtigten und Schulverantwortlichen wird nach und nach deutlicher, dass sich die Leistungen ökonomisch benachteiligter Personen (unabhängig von den technischen Gegebenheiten) überproportional verschlechterten. Daraus folgt die Theorie, dass die soziale Herkunft entscheidend für den Lernstand nach der Corona-Pandemie ist.

Bei der qualitativen Inhaltsanalyse wird ein inhaltsorientiertes Kategorienschema entwickelt, das das Datenmaterial ordnet. Da im Vorhinein keine Datenstruktur bekannt ist, muss während der gesamten Analyse das Prinzip der theoretischen Offenheit berücksichtigt werden, um Erkenntnisse im Laufe der Untersuchung immer wieder anpassen zu können. Die Auswertung des Kategorienschemas kann abschliessend für eine theoretische Modellbildung genutzt werden, indem die Erkenntnisse verdichtet werden. Auf diese Weise wird vom Speziellen auf das Allgemeine oder von einzelnen Fällen auf Verallgemeinerbares geschlossen. Die untersuchte Fallzahl fällt daher meist klein aus.

Induktive Ansätze können jedoch auch bei quantitativen Analysen zur Anwendung kommen. Während bei einer standardisierten Datenerhebung zwar normalerweise bereits Vorannahmen und Hypothesen bestehen, können alternativ auch Datentypen vorliegen, die zunächst explorativ untersucht werden müssen. Gerade im Kontext von Big Data und Data Mining sind induktive Verfahren relevant, da in grossen Datenmengen zunächst Strukturen und Muster identifiziert werden sollen. Explorative Faktorenanalysen sind bspw. induktiv charakterisierte statistische Methoden, die auch im Kontext von Umfragedatensätzen eine Rolle spielen. Auch dabei wird nach zuvor nicht bekannten Strukturen und Zusammenhängen in den Daten gesucht.

 


Deduktion: „Top-down“

Werden bereits vor der empirischen Analyse Annahmen über Muster und Zusammenhänge im Datenmaterial getroffen, so handelt es sich um ein deduktives Verfahren. Weil also in diesem Fall von der Ebene der Theorie auf die Daten geschlossen wird, können deduktive Ansätze auch als strukturprüfend oder Top-down-Verfahren bezeichnet werden. Ein deduktiver Ansatz beinhaltet also Schlüsse vom Allgemeinen auf das Spezielle oder von verallgemeinernden Theorien auf empirisch beobachtete Fälle.

Induktion & Deduktion

In der Regel geht man dann deduktiv vor, wenn bereits viele Publikationen zu einem Forschungsthema und damit auch verschiedene theoretische Modelle vorliegen. Zwar ist die Forschungsfrage dann meist wenig innovativ, die Theorie wird jedoch einer weiteren Überprüfung durch die eigene Untersuchung unterzogen. Entsprechend leistet man bei deduktivem Vorgehen einen Beitrag zur Bestätigung oder Falsifikation einer Theorie oder ihrer Bestandteile.

Beispiel für einen deduktiven Forschungsansatz:

Der Forscher Ronald Inglehart nimmt im Zuge seines Wertwandel-Theorems an, dass sich in westlichen Gesellschaften materialistische zu postmaterialistischen Werten verschieben. An die Stelle von Materialismus und Sicherheit rücken Selbstverwirklichung und Solidarität. Ein gängiger Erklärungsansatz für den Erfolg rechtspopulistischer Parteien in Deutschland ist daher eine mögliche Gegenreaktion in Teilen der Gesellschaft, mit der man sich gegen einen progressiven Wertewandel richtet. Eine anhand von empirischen Daten zu untersuchende Hypothese könnte daher lauten:

Je materialistischer das Wertesystem einer Person ist, desto wahrscheinlicher wählt sie eine rechtspopulistische Partei.

Das deduktive Forschungsverständnis basiert auf den Annahmen des kritischen Rationalismus nach Popper. Ihm zufolge wird die Geltung einer Theorie geprüft, indem aus ihr überprüfbare Prognosen für die Wirklichkeit formuliert werden. Dabei steigt die Gültigkeit der Theorie, je eindeutiger und konkreter die abgeleiteten Hypothesen überprüft werden können. Entscheidend ist daher, dass die abgeleitete Hypothese potenziell widerlegbar bzw. falsifizierbar ist.

Im Zuge eines deduktiven Vorgehens greift man in der Regel auf ein quantitatives Forschungsdesign zurück, mit dessen Hilfe eine grosse Anzahl von Fällen untersucht wird. So kann bspw. anhand eines repräsentativen Umfragedatensatzes mithilfe von statistischen Methoden geprüft, ob sich in den Daten Muster finden, die gemässModell angenommen wurden. Deduktive Schlüsse beginnen also mit der Theorie, aus der überprüfbare Hypothesen abgeleitet werden.

Anschliessend muss sichergestellt werden, dass die in den Hypothesen angesprochenen Konstrukte mithilfe von Messinstrumenten operationalisiert werden können (z. B. in Form von Skalen bestimmter Items in einem Fragebogen). Praktisch könnten dann bspw. lineare oder binär-logistische Regressionsmodelle zum Einsatz kommen, deren unabhängige und abhängige Variablen genau spezifiziert werden müssen. Damit wird deutlich, dass die Modellspezifikation bereits sehr konkrete Vorannahmen erfordert.

Wird die Hypothese während der quantitativen Analyse bestätigt, so gelten sowohl die Hypothese als auch Theorie als vorläufig bestätigt. Zeigt sich hingehen, dass die Hypothese auf Basis der Analyse unzutreffend ist, sind sowohl die Hypothese als auch die Theorie bzw. der Bestandteil der Theorie falsifiziert, aus dem die Annahme abgeleitet wurde. In diesem Fall ist eine Kritik an der verwendeten Theorie gerechtfertigt.

 


Zusammenfassung zum deduktiven und induktiven Forschungsdesign

Sowohl induktive als auch deduktive Forschungsdesigns verfügen über Vor- und Nachteile. So besteht ein wesentlicher Vorteil eines induktiven Vorgehens darin, dass durch die sukzessive Annäherung im Analyseprozess ein tiefes Verständnis über den Forschungsgegenstand ermöglicht wird. Gegen einen induktiven Ansatz spricht die schlechtere Planbarkeit des Forschungsprojektes, sodass der Kosten- und Zeitaufwand im Vorhinein zur schwierig abzuschätzen ist.

Der Aufwand für deduktive Forschungsdesigns lässt sich dagegen im Voraus besser antizipieren. Zwar ist die Erkenntnistiefe deduktiver Ansätze geringer, die Untersuchungsergebnisse deduktiver Forschung lassen sich jedoch in höherem Masse generalisieren. Ob ein induktiver oder deduktiver Ansatz gewählt werden sollte, hängt daher von der Abwägung dieser Vor- und Nachteile, aber vor allem von der Forschungsfrage und dem bisherigen Kenntnisstand ab. Im Rahmen von universitären Arbeiten werden häufiger deduktive Forschungsansätze verwendet.

 


Weiterführende Literatur:

  • Baur, N., Blasius, J. (Hrsg.) (2014). Handbuch Methoden der empirischen Sozialforschung. Wiesbaden: Springer VS.
  • Döring, N., Bortz, J. (2016). Forschungsmethoden und Evaluation. Wiesbaden: Springer.
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